In diesem Artikel wollen wir die nächsten Tage Stück für Stück Einblicke, Statements veröffentlichen welche Auswirkung die Corona-Kürzungen auf den Sozial- und Erziehungsbereich haben. Wenn ihr auch von den Auswirkungen berichten wollt, schreibt uns eine Email! Und am Dienstag 14.12. 15.30 Uhr auf die Straße „Weg mit den Kürzungen im Sozialbereich!“
- Erste Bericht: Die Kürzung der Vorbereitungszeit bei gleichzeitig gestiegenem Mehraufwand ist wie ein Schlag ins Gesicht
- Zweiter Bericht: Durch Corona haben wir einen so starken Anstieg an Papierkram, … als Belohnung wird dann die Vorbereitungszeiten gekürzt und zusätzlich 10% vom Stellenschlüssel geklaut
- Dritter Bericht: „Wir wollen keinen Applaus. Rückt die Kohle raus!“
- Vierter Bericht: 5 mal 2% sind dann halt auch 10 % die fehlen
Erste Bericht: Die Kürzung der Vorbereitungszeit bei gleichzeitig gestiegenem Mehraufwand ist wie ein Schlag ins Gesicht
Anna schreibt uns: Bevor ich auf meine subjektiven Erfahrungen und Gedanken zur verkürzten Vorbereitungszeit zu sprechen komme, möchte ich ein paar Zeilen voranstellen.
Der Orientierungsplan Baden-Württemberg stützt sich auf §§ 22 und 22a SGB VIII, sowie auf die Grundaussage in § 1 Abs. 1 SGB VIII, dass „Jeder junge Mensch […] ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit [hat].“
Um diese Ziele – mithilfe einer guten und vertrauensvollen Erziehungspartnerschaft mit den Eltern – zu erreichen, braucht es mehr als einen ‚Dienst am Kinde‘, der reinen Beaufsichtigung von Kindern. Eine hochqualitative Pädagogik für die Jüngsten unserer Gesellschaft zu gewährleisten, bedarf zwingend einer gesicherten und ausreichenden Vor- und Nachbereitungszeit, um Entwicklungsgespräche vor- und nachzubereiten
- Berichte für bspw. weitere Fördermaßnahmen zu schreiben
- Beobachtungen mit entsprechenden Instrumenten zu dokumentieren und auszuwerten
- gezielte Angebote und Projekte zu planen
- Einkäufe des täglichen Bedarfs zu erledigen
- Portfolioarbeit zu machen
- lernanregende Umgebungen mit neuen Impulsen zu schaffen
- die eigene pädagogische Arbeit zu reflektieren
- wöchentliche Teambesprechungen und Supervisionen zu
- Feste zu planen
- Ausflüge zu planen
- Fachliteratur zu lesen (ein Stillstand ist in der Pädagogik immer ein Rückschritt)
- Tür- und Angelgespräche mit den Eltern zu führen
- Kooperationen einzugehen und zu pflegen
- zukünftige Fachkräfte qualitativ anzuleiten
- und vieles mehr
Seit Anbeginn der Pandemie stieg – aus meiner Sicht – die Aufgabenliste der Vor- und Nachbereitungszeit sogar noch an: Die Poolie-Testungen vor- und nachbereiten, deutlich gestiegenen Mailverkehr auffangen, alle externe Kontakte präventiv erfassen und dokumentieren, Feste anders und spontan umplanen, vermehrten und pandemiebedingten Bedarf an Hygieneartikel einkaufen, Notfallbetreuungen planen und koordinieren (samt Kontakt zu Kindern, die während der Shutdowns daheim waren, pflegen), geänderte Corona-Verfassungen des Bundesministeriums lesen und deren Umsetzung absprechen und vieles mehr.
Folglich empfinde ich die Kürzung der Vorbereitungszeit bei gleichzeitig gestiegenem Mehraufwand wie ein Schlag ins Gesicht. Die Pandemie verlangt von mir als pädagogische Fachkraft – nebst einem tagtäglich unzureichenden Schutz (u.a. keine mir bekannten Impftage bzw. -aktionen für Fachkräfte) – noch mehr an Leistung ab, die letztlich wieder Überstunden zur Folge hat. Diese wiederum abbauen zu können, gestaltet sich als schwierig, da Personalmangel und zusätzlicher Mehraufwand. Es wirkt wie ein Teufelskreis.
Summa summarum wird eine Verkürzung der Vorbereitungszeit nicht nur langfristig zu einem Qualitätsverlust der Bildungs-, Beziehungs-, Erziehungs- und Betreuungsarbeit, sondern ebenfalls zu einem weiteren Anstieg des Fachpersonalmangels aufgrund der eher niedrigen Berufsattraktivität (Stichwort: Lohn, gesellschaftliche Anerkennung, Ausbildungsbedingungen und nun auch Kürzungen!) führen.
Zweiter Bericht: Durch Corona haben wir einen so starken Anstieg an Papierkram, … als Belohnung wird dann die Vorbereitungszeiten gekürzt und zusätzlich 10% vom Stellenschlüssel geklaut
Ananda schreibt uns: Also wir merken die Auswirkungen in der Vorbereitungszeit (die ca. 1 Stunde pro Stelle gekürzt wurde), da wir vorne und hinten nicht mit unseren Aufgaben hinkommen. (Wir arbeiten in Leitungsteams, das bedeutet wir haben keine Leitung, sondern machen alles selbst, bis auf die Gehaltsabrechnungen). Es fehlt eh schon an Zeit für alle Dinge die anfallen, allein durch Corona haben wir einen so starken Anstieg an Papierkram und Dingen die erledigt werden müssen, das die „normalen“ Dinge kaum noch zu schaffen sind. Und als Belohnung für noch mehr Arbeit, werden uns dann die Vorbereitungszeiten gekürzt und zusätzlich 10% vom Stellenschlüssel geklaut. Auch die fehlenden 10% merken wir extrem. Im Alltag, da die Arbeitsschichten sich gerade so abwechseln und wenn Leute krank sind, immer jemand eine Doppelschicht von ca. 9 Stunden am Stück machen muss. Pausen sind bei Krankheitsausfällen fast nicht möglich, da Kollegen dann unter Umständen mit 20 Kindern alleine sind. Und jedesmal Praktikanten oder Eltern einzusetzen ist im Moment sowieso nicht möglich, aufgrund der wirklich sehr hohen Corona Zahlen. Dann soll auch noch mit den Kindern pädagogisch nach dem Orientierungsplan gearbeitet werden, was aber niemand mehr schafft vorzubereiten. Es ist einfach dramatisch und kein Zustand auf Dauer! Eigentlich bräuchten wir eher mehr Vorbereitungszeit, da leider auch wichtige Dinge liegen bleiben. Wir versuchen seid einem Jahr an der Konzeption zu arbeiten, schaffen es aber nur sehr zäh, in Minischritten, weil alle so kaputt sind. Unsere Überstunden bewegen sich bei ca. 60, durch Krankheitsausfälle aber kaum abbaubar.
Eigentlich bräuchten wir eher mehr Vorbereitungszeit, da leider auch wichtige Dinge liegen bleiben.
Dritter Bericht: „Wir wollen keinen Applaus. Rückt die Kohle raus!“
„Einige kritische Erzieher*innen“ schreiben uns: Die Kürzung der Verfügungszeit hat erst mal keine Auswirkungen auf die Arbeitszeit am Kind (Betreuungszeit). Sie wirkt sich somit zunächst ausschließlich auf unsere Vor- und Nachbereitungszeit (bisher 20% unserer bezahlten Arbeit) aus.
Diese 20% wurden nun von der Stadt Freiburg/ Gemeinderat auf 18% gekürzt. D.h. bei 75 Minuten Verfügungszeit täglich, wäre das eine Kürzung um knapp 8 Minuten bezahlter Tätigkeit pro Tag.
Da unsere Tätigkeit allerdings stark vom persönlichen Engagement (24/7 Job) jeder/s Einzelnen geprägt ist und lebt (z.B. regelmäßige Kommunikation mit Eltern auch nach Dienstschluss und am Wochenende, Vor- und Nachbereitung von Angeboten, Dokumentationen, Gespräche und Treffen mit Kolleg*innen, Vorbereitung und Planung von Kita-Festen, etc.) und somit nicht mit einer Stechuhr abgerechnet werden kann, ist es nahezu unmöglich die tatsächlichen Auswirkungen (Arbeitsverdichtung) in Arbeitszeit und Lohnverlust zu beziffern. Anders gesagt, die Kürzungen werden uns nicht direkt auffallen, solange wir diese nicht proaktiv versuchen würden auszugleichen. Wir könnten z.B. die Entscheidung treffen, ein Kita-Fest weniger im Jahr zu feiern und uns dadurch die Vorbereitung und Durchführung eben diesem zu ersparen. Oder wir könnten die gekürzte Verfügungszeit auch damit ausgleichen, dass wir den Stellenanteil unserer Krankheits- und Urlaubsvertretung kürzen (Nicht-Besetzung von Stellenanteilen). Dies kann dann zur Folge haben, dass aufgrund von Personalmangel (z.B. durch Krankheitsfälle) vorgenommene Kürzungen der Betreuungszeit die Regel werden. Beide Fälle würden dann auch zu Lasten der Kinder und ihrer Eltern gehen.
Was aber entscheidender ist, welches Signal die Stadt Freiburg mit ihrer Kürzungspolitik an die Beschäftigen im Sozial- und Erziehungsdienst sendet. Dieses hat fatale Auswirkungen auf unser Engagement: „Es fühlt sich einfach nicht gut an!“, „Führt zu Resignation.“, „Die Freude am Job geht verloren!“, „Entwertet unsere Tätigkeit als Erzieher*innen!“
Diese Kürzungen auf unserem Rücken und dann auch noch während der Coronapandemie durchzuführen, welche selbst zu einem stark gestiegenen Organisations-, Verwaltungs- und Kommunikationsaufwand geführt hat (weniger vergütete Zeit für mehr Aufgaben) und zudem ein erhöhtes Gesundheitsrisiko für uns darstellt, ist ein Schlag ins Gesicht aller Beschäftigten.
Es ist eigentlich eine „Frechheit“, dass die Care-Beschäftigten in Freiburg die Corona-Krisenkosten zu zahlen haben und vor dem Hintergrund eines riesigen Fachkräftemangels zudem verantwortungslos!
„Wir wollen keinen Applaus. Rückt die Kohle raus!“
Vierter Bericht: 5 mal 2% sind dann halt auch 10 % die fehlen
Rosalba schreibt uns: Wir sind eine eingruppige Kita unser Team besteht im Moment aus 5 Leuten, eine von uns ist nicht fest im Team, also nur als Krankheitsvertretung da und wird im August gehen müssen. Die Kürzungen haben für uns zur Folge, dass jede/r von uns auf 2% der Vorbereitungszeit verzichten musste – was erstmal keine große Konsequenzen hatte. Jedoch hat unsere Kita insgesamt 10% vom gesamten Kontingent verloren, so dass wir ab September eine Person weniger im Team haben werden. Die Arbeitgeberin schreibt nämlich keine Stelle mit weniger als 50% aus – wenn die Krankheitsvertretung geht (ihre Prozente werden ohne Vorbereitungszeit gerechnet, daher ist sie im Moment eine gute Unterstützung, wird aber vom Träger anders gebraucht) werden wir dünn besetzt sein – was mit viel Stress und Belastungen verbunden ist, z.B. bei Krankheitsausfällen…
Die Situation ist eine eindeutige Verschlechterung – die auf unsere Kosten geht, denn mit einer Person mehr haben wir bisher einiges an Ausfällen kompensieren können…